Gelage

Shanti aus dem Gulli

In letzter Zeit isst er häufiger Obst, und sogar Gemüse.
Trotzdem hat er mehr Geld als sonst.
Er geht immer dann aus dem Haus wenn der Laden um die Ecke gerade zugemacht hat, manchmal wundere ich mich darüber. Aber da er es jeden Montag und Donnerstag tut, bleibt das Wundern immer öfter aus. Er nimmt seinen größten Rucksack mit, leer, und manchmal kommt er noch mal zurück weil er die Taschenlampe vergessen hat.
Er duscht auch montags und donnerstags.
Und er leert unsern Müll. Das hätte ich nie gedacht.

Sie hat staubige Füße als sie zurückkommt. Nachts, so gegen drei. Dabei regnet es draußen. Sie murmelt was von Kaiserdenkmal und Stützgewölbe und riecht dabei eindeutig nach Christkindl-Glühwein. Sie zeichnet Sohlen in den Staub auf ihren Schuhen und nennt sie Gerlinde. Und Horst
Sie lächelt.

Salamander habe früher allen seinen Schuhen Namen gegeben, wird er plötzlich wach.
Er habe mit neun Herbert tragen müssen, dabei hätte er viel lieber Jens getragen. Und er möge überhaupt kein Nutella.
Er hat schon wieder die Handschuhe zwischen den Fingern.
Die blassblauen labbrigen Spülteile.

Nächstes Mal spare sie sich das Absteigen und flöge stattdessen eine Runde Ketten, lacht sie in die Stille. Das gäbe es da nämlich mit einem Eisbein in Zuckerwatte. Aber er lacht nicht. Lächelt nichteinmal. Gebrannte Mandeln, lockt sie weiter, Apfelpunschrauschen und Eisschollenlaufen.
Ohne Erfolg.

Kaiser Wilhelm wurde mal eben umgedacht, das Schloss besteht nur aus Pool und Bratwurst.
Dem Palast liegt ein kreischender Weihnachtsmarkt zu Füßen.
Und unter dessen Sohlen beleuchten Teelichter zarte Stalaktiten.
Eine halbe Straße weiter nur steht der Container.

Gelage

Rara

Neun plus zwei Stühle, vier Dreifachstecker, zwei Computer, eine Milchglasscheibe und unzählige Schaumstoffecken und Zettelkästen. Das alles hinter einer Tür aus dunkelgrauem Stahl, so schwer dass er sie nur mit beiden Armen ziehend öffnen kann. Beim Eintritt des Neulings heben sich die Köpfe der Insassen, die nicht völlig vertieft in ihre Aufgabe. Aus dem Halbdunkel begegnen ihm fragende bis genervte Blicke, die ihn zu Boden schauen lassen, bis die Tür krachend hinter ihm ins Schloss fällt. Gerunzelte Stirnen quittieren diese Unachtsamkeit umgehend.
Die blauen Zettel fokussierend wagt er sich schließlich 3 weitere Schritte in den Raum, der damit schon zu Hälfte durchschritten. Schließlich hat er einen Auftrag zu erledigen, einen nicht unwichtigen, vor allem aber einen dringenden. Doch die Zeit geht hinter der Stahltür anders, von Moderne spricht man hier besser nicht, schon Farben jenseits der Grau-Braun-Töne sind hier verdächtig. Wohlweislich hat er eine Garde Bleistifte mitgebracht, Kugelschreiber sind hier verpönt, er erinnerte sich, und so notiert er in schwer leserlichem Hellgrau auf Blau seine Wünsche in dreifacher Ausfertigung, legt seine Identitätsnachweise bei und schiebt den Stapel möglichst lautlos der Wärterin ins Blickfeld.
Die Blicke im Rücken verharren im unteren Bereich seines Kreuzes, ein Fehler von ihm und sie würden vor Wonne vibrieren, doch die Wärterin nickt nach eingehender Prüfung seiner Schriftstücke gnädig, erhebt sich eine halbe Drehung von ihm weg vollziehend und ihm so mit ihrem massigen Rücken den Blick versperrend. Er wagt kaum mehr zu atmen, schließt für einen Moment die Augen.
Quietschen und Scharren, solchermaßen noch verstärkt in ihrer Wirkung auf ihn, zeigen das erfolgreiche Öffnen des Tresors an. Stille. Er öffnet die Augen genau in dem Augenblick, als ihm die Wärterin das Gewünschte aus sicherer Distanz zeigt, übergeben wird sie es ihm erst drei Unterschriften und einen warnenden Blick später. Lächeln darf er jetzt schon. Und dreieinhalb Minuten später ist er einer von ihnen, ein Insasse, der Neuankömmlinge mindestens kritisch beäugt. Auch einer der legitimiert einen der Stühle besetzen, der bei jeder Bewegung, jedem Laut im Raum lautlos stöhnend seufzen darf. Nur immer noch keiner, dem der Zugang auf die Tribüne gestattet wäre.